Auslöser
Es geht ein Gespenst um in der Welt. Das Gespenst des Antisemitismus. Auf den Strassen und auf den Internetplattformen vollzieht sich in weiten Teilen der Linken gerade die unheilvolle Synthese beider Pole Rosa Luxemburgs Postulierung “Sozialismus oder Barbarei”. Unter dem Banner des vermeintlich progressiven Wirkens werden Jüdinnen:Juden bedroht, ihre Geschäfte mir roten Dreiecken markiert oder sie werden direkt körperlich angegangen, wenn nicht gleich ermordet. Seit dem 7. Oktober scheint es kein Halten mehr zu geben — die Masse fühlt sich gestärkt, ihre politische Regression an den ihnen als Feind auserkorenen zu vollstrecken. Es scheint, als hätte die Welt darauf gewartet, es (((ihnen)))* mal wieder so richtig zu zeigen. Seit dem 7. Oktober ist die antisemitische Gewalt global massiv angestiegen.
Quelle: The Center for the Study of Contemporary European Jewry
https://cst.tau.ac.il/wp-content/uploads/2024/05/AntisemitismWorldwide_2023_Final.pdf
Ein paar Schuhe
Mit grosser Sorge beobachten wir, dass viele, die es eigentlich gut meinen mit dem Menschengeschlecht, sich begrifflich verlieren und mit jenen in die ideologische Kiste hüpfen, deren gesellschaftliche Vorstellungen den totalitären Herrschaftsapparat voraussetzen. Die islamische Republik Iran und ihre Verbündeten Russland und China verfolgen eigene Interessen einer neuen Welt, deren Widerhall die Linke eigentlich bis ins Mark erschüttern müsste. Stattdessen ist zu vernehmen, wie, ganz in der Tradition der alten Linken, vorgenannte Akteure als Achse des Widerstands gegen die sogenannte westliche Hegemonie wahrgenommen werden.
In den USA werden mittlerweile offen Symboliken des islamischen Klerikalfaschismus gezeigt; auf Palästina-Solidemos schwenken — notabene sich links verortende Mitlaufende — widerspruchsfrei die Fahnen von Hamas & Hezbollah; Organisationen, deren Werte konträr zu allen Progressiven stehen. Wie auch bei ihren rechtsradikalen Pendants werden Begriffe linksseitig solange zerkäut, bis ausser Spei und Schande, ausser Gift und Galle nichts mehr übrig ist. Worte wie Aphartheid, Genozid und Kolonialismus werden derart aufgeblasen, dass sie den Diskurs komplett einnehmen und diesen somit verunmöglichen; durch die stete Wiederholung dergestalt gewordener Kampfbegriffe verfestigen sich diese zu unumstösslichen Kategorien in der politischen Debatte.
Der andere Schuh drückt nicht weniger; die von rechts ausgehende falsche Solidarität mit Jüdinnen:Juden und Israel wird unter Bezugnahme auf den linken Antisemitismus in der Debatte dermassen zementiert, dass das Beharren auf dem Existenzrecht des jüdischen Staates, bisweilen gar die alleinige Kritik an den regressiven Tendenzen einer immer autoritärer auftretenden Linken, bereits als Beweis einer angeblich rechten Gesinnung dient. Die Kehrseite dessen zeigt sich im bürgerlichen Verdacht der Zugehörigkeit dieser autoritären Linken, wenn man sich öffentlich dezidiert antifaschistisch verortet. So wird eben, wie man so sagt, ein Schuh draus.
Nicht unsere Freund:innen
“Similarly, I think: Yes, understanding Hamas, Hezbollah as social movements that are progressive, that are on the Left, that are part of a global Left, is extremely important.”
— Judith Butler at UC Berkeley on the war between Israel and Hezbollah, 2006.
Das Treffende an diesem Zitat ist nicht dessen Inhalt, sondern die Genauigkeit, mit welcher es die aktuellen Verwerfungen der Linken beschreibt. Diese “globale Linke”, von der Butler spricht, vertritt ein manichäisches Weltbild und paktiert im projektiven Wahn noch mit schlimmsten Menschenschindern des Planeten. Am Ende dieser Zusammenarbeit, wenn diese Linke ihre Rolle als useful idiot verwirklicht hat, wird sie selbst auf dem Scheiterhaufen der Barbarei verbrannt sein. Bei aller nötigen Zivilisations- und Kulturkritik darf es keine Intersektionalität geben mit den Interessen derer, deren ultimatives Ziel die Errichtung eines Unterdrückungapparates ist. Das widerstrebt jeder linken Idee im Innersten und wird die Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit nicht auflösen können – ebenso wenig wie der momentane rechtsradikale Backlash dies zu tun vermag.
Wir wollen in diesem Verständnis also auch nicht mit denen den Schulterschluss wagen, deren Weltbild sich in der letzten Konsequenz ideologisch mit dem Islamismus überschneidet, die gar insgeheim neidisch auf dessen Kompromisslosigkeit sind — solange seine Anhänger bloss in den jeweiligen Kulturkreisen verweilen. Der Tod ist noch immer “ein Meister aus Deutschland” und dieses Meisters Nachleben umspannt die Welt, die es eigentlich zu gewinnen gilt.
Zweck
Als Gruppe NONGRATA wollen wir diesen Ort als Teig behandeln, der formbar, aber in seiner Beschaffenheit beständig ist — Kritik und Widerstreit, ohne sich in den notwendigen antifaschistischen Grundfesten erschüttern zu lassen, wie es gewissen “Ideologiekritikern” passiert. In dieser Tradition ist es uns ein Anliegen, auch eigene Verklärungen aufzudecken, neue Ideen abseits alter Trampelpfade gedeihen zu lassen und den Anspruch auf Utopie nicht zu vergessen. Antisemitismus funktioniert am Ende immer noch als Welterklärungsmodell, er ist “der Sozialismus des dummen Kerls” (August Bebel) – und einen solchen hatten wir leider schon mal.
GEGEN DIE REAKTION
* (((…))) ist eine rechtsradikale Chiffre um eine angebliche jüdische Weltenkontrolle zu umschreiben.